Die Problematik der
AI-Vollautomatisierung
in der Marketingbranche
Mit dem Hype um AI Agents im Jahr 2025 ist der Wunsch nach AI-Vollautomatisierungen in der Marketingbranche immer größer geworden. Doch hier stellt sich die Frage: Welche Marketing-Dienstleistungen werden im Verkauf die Oberhand haben? Solche auf Basis von AI-Vollautomatisierungen oder auf Basis von Komplementärnutzung mit menschlichem Part und Consulting?
Einschätzung über AI-Vollautomatisierungen in der Marketingbranche bei Dienstleistungen
Schon vor dem Hype um AI Agents im Jahr 2025 war es ein verbreiteter Wunsch in der Marketingbranche: Die Möglichkeit des Einsatzes von AI-Vollautomatisierungen für Prozesse im Online Marketing mit dem Ziel des Verkaufs der Ergebnisse aus den Vollautomatisierungen zu ähnlichen oder gleichen Konditionen an die Agenturkunden.
Anders als bei klassischen AI-Automatisierungen kommen hierbei nicht einzelne Workflows zum Einsatz, sondern komplette AI-Agentur-Templates, bei denen die Fachbereiche (wie etwa SEA, Social Ads, SEO, Content-Erstellung, Datenanalysen) mit ihren zahlreichen, granularen Arbeitsschritten zentralisiert durch AI Agents gesteuert werden, die auf einer Datenbasis eigenmächtige Entscheidungen über den Start von maschinellen Arbeitsschritten und Prozessen treffen (über Automatisierungen mit Make, n8n, Relevance AI etc).
Für jeden automatisierbaren und operativ funktionierenden Marketing-Agentur-Prozess wird ein AI Agent mit mehreren AI Sub Agents eingesetzt, die einzelne Aufgaben erfüllen. Beispiel im Bereich SEO: Ein Agent macht Research (Google-Suche, Scraping, Keyword-Recherchen), der andere Agent überprüft die technischen Details von Websites, der andere Agent erstellt Content, der wiederum andere ist ein Reporting-Agent. Nach demselben Schema geht das für Google Ads, Meta Ads, Google Search Console, organisches Social Media, CRM-Workflows.
Der Hype um AI Agents mit Beginn des Jahres 2025 befeuerte in der Marketingbranche ein weiteres Mal die Erwartungshaltung und Frage nach der AI-Vollautomatisierung von solchen Marketingprozessen mit dem Ziel, die Ergebnisse einer solchen Vollautomatisierung an Endkunden genauso zu verkaufen, wie bestehende, klassische Consulting-Leistungen.
Das ist die Frage, die ich hier näher beleuchte: Wie können AI-Automatisierungen in der Marketingbranche funktionieren – und zwar dauerhaft, realistisch und nachhaltig im Verkauf?
Technisch sind AI-Vollautomatisierungen zwar für bestimmte Bereiche generell umsetzbar – doch ob es im Verkauf an Agenturkunden im Bestandskundenschäft genauso funktioniert, wie klassische Consulting-Leistungen, steht auf einem anderen Blatt.
Es stellen sich nämlich drei Fragen:
- Der Gegenstand der Dienstleistung für Endkunden – Vollautomatisiertes SaaS gegen AI-Komplementärnutzung mit Consulting:
Kann eine Agentur mit reinen AI-Agent-Vollautomatisierungen ihre Dienstleistungen für den Endkunden zum gleichen Preis anbieten, wie bei den klassischen, regulären Consulting-Betreuungskosten? - AI Agent als Detektiv für schwierige Fälle – der gewaltige Aufwand bei der Verknüpfung aller in Frage kommenden Datenquellen für jeden Use Case: Wie weitreichend sind die externen Faktoren, die solche AI-Agentur-Frameworks berücksichtigen und in welcher Relation steht der Aufwand, alle in Frage kommenden Datenquellen für die Bewertung von schwierigen Ausgangslagen per API anzuschließen, damit die AI Agents in der Lage sind, schwierige Fragestellungen auch nur annähernd so zu lösen, wie menschliche Consultants, wenn es im Ads-Bereich um Detektivjobs geht?
- Die Problematik der Entscheidungsfreiheit:
Möchte man sehr weitreichende Entscheidungen überhaupt einer AI überlassen, wenn wir sie schon nicht auf menschlicher Ebene manchen, auch ausgewiesenen Experten überlassen würden?
- Der Gegenstand der Dienstleistung für Endkunden – Vollautomatisiertes SaaS gegen AI-Komplementärnutzung mit Consulting:
Was ist eine AI-Vollautomatisierung?
Wie definieren wir das Thema der AI-Vollautomatisierung in der Marketingbranche? Nehmen wir hierfür eine Definition, die der Anspruchshaltung der Marktteilnehmer in der Regel am ehesten gerecht wird:
Ein System, das vom Input (Datenquellen als Wissensbasis) über die Operationen (Automatisierungen) bis hin zu den Entscheidungen (AI Agents) und zur Datenausgabe (Änderungen an Kampagnen in den Werbesystemen und auf Websites) vollautomatisiert agiert, sodass eine menschliche Komplementärarbeit ausgeschlossen ist.
Auch wenn sich das für einige spannend anhören mag, sollte man es mit dem Hype nicht übertreiben: Es gibt eine Reihe von Limiting Factors und Fragestellungen im Verkauf und in der Anwendung, die man bei reinen AI-Agent-Vollautomatisierungen von Geschäftsprozessen in der Marketingbranche im Sinne des Verkaufs als monatliche Betreuung an Endkunden beachten muss:
Limfac 1: Vollautomatisierung als SaaS versus Consulting als Agenturleistung
Der erste und einfachste Grund, warum es AI-Vollautomatisierungen gegenüber Agentur-Consulting-Paketen im Verkauf deutlich schwerer haben werden, ist: Eine AI-Vollautomatisierung wäre in der Hinsicht immer ein SaaS-Produkt. Consulting-Leistungen hingegen enthalten immer zumindest zum Teil einen menschlichen Part, der zwar mit AI-Automatisierungen komplementär arbeiten kann, aber nicht muss, um erfolgreich zu sein. Das hat strukturelle Gründe und führt uns gleich zum nächsten Punkt – und zwar dazu, warum in einem solchen menschlichen Part ein AI-Einsatz zumindest nicht notwendigerweise erforderlich ist:
Limfac 2: Menschen brauchen meist nicht tausende neue Ideen, sondern den Fokus auf eine altbekannte und wichtige Information
Wenn es um die Beratung zu bestimmten Geschäftsprozessen geht, brauchen Menschen meist nicht neue Informationen durch AI, sondern müssen den Fokus auf eine bereits bekannte Information lenken und diese internalisieren (die Nadel im Heuhaufen).
Beispiel: Wenn im Bereich der Leadgenerierung in hochpreisigen Branchen ein Kundenunternehmen die Leads generell nicht anruft (“wer was will, meldet sich schon von alleine”), dann braucht dieses Unternehmen nicht tausende neue Informationen durch eine AI, sondern nur eine altbekannte Information durch einen Consultant – und zwar, dass die Leads angerufen werden sollten:
Mit Follow-Ups, Skripten, System, Iterationen, vier Stunden an täglichen Zeitblockern für Lead Gen und Anrufe, stetigem Lesen der entsprechenden Literatur, einem Journal mit Erkenntnissen und geplanten Ansätzen zum Testen. Häufig nehmen Unternehmen solche Informationen aber nicht an und es dauert Wochen und Monate, bis Call für Call ein solcher unternehmenspolitischer Flaschenhals gelöst ist. Bedeutet: Wir haben hier nicht 1.000 neue Information, sondern nur eine alte – die wiederholt und durchgesetzt werden muss, damit ein Geschäftsprozess-Debugging funktionieren kann.
Die immergleiche Information zu wiederholen, ist kein Prozess, der einer AI-Unterstützung erfordert (es sei denn, man möchte Sprachnachrichten und Mails AI-generiert an die Kundenunternehmen schicken, die ihnen die immergleiche Information automatisch wiederholen. Kleiner Scherz am Rande).
Aus solchen Gründen ist Consulting im Kern zeitlos und hochpreisiger als reine Technologiekosten, da der Grund für die Beauftragung häufig darin besteht, die eine entscheidende Nadel im Heuhaufen der Informationen zu finden und diese unternehmenspolitisch durchzusetzen.
Limfac 3: Consulting-Leistungen sind hochpreisiger als reine Technologiekosten
Es ist einfacher, ein Agentur-Betreuungspaket für 10.000€ im Monat zu verkaufen, als ein vollautomatisiertes Tool für 10.000€ im Monat. Es gibt weniger Endnutzer, die es einsehen würden, einen solchen Preis für eine reine Software (auf eine Dauer von beispielsweise 3 – 6 Jahren) monatlich zu bezahlen, als solche, die bereit wären, diesen Preis für eine Agentur zu zahlen. Consulting-Leistungen waren, sind und werden auch in Zukunft wesentlich teurer bleiben, als reine Technologiekosten für einen SaaS-Anbieter.
Ein anderes Szenario haben wir hingegen, wenn eine maßgefertigte, weitreichende vollautomatisierte Anwendung für einen B2B-Kunden als Setup bereitgestellt und anschließend monatlich betreut wird: Der Agenturkunde gibt den Input für den Betrieb, für Kampagnen, für Iterationen und Innovationen und dafür werden die o.g. 10.000€ abgerechnet. Das wäre also eine Dienstleistung, die wie eine ganz normale Agentur-Dienstleistung gehandhabt wird. Das erfüllt allerdings nicht die eingangs geschilderte Definition einer AI-Vollautomatisierung: Diese ist spätestens dann nicht mehr vollautomatisiert, wenn eine menschliche Komplementärnutzung ins Spiel kommt und erforderlich ist. Das führt uns direkt zum nächsten (noch wichtigeren) Punkt:
Limfac 4: Komplementärnutzung statt Vollautomatisierung bringt mehr Umsatz
Peter Thiel schrieb in seinem Beststeller “Zero to One”, warum Facebook oder Palantir einen so großen wirtschaftlichen Erfolg verzeichnet haben: In der Digitalbranche funktionieren demnach Technologien wirtschaftlich dann sehr gut, wenn sie eine komplementäre Ergänzung zu menschlichen Handlungen in der Endnutzung darstellen. Ob bei der Nutzung von Facebook durch eine Privatperson oder bei der Nutzung von Palantir durch US-Behörden: Technologieanbieter können dann wirtschaftlich erfolgreich werden, wenn sie dem Endnutzer eine komplementäre Nutzung zwischen ihrem Input an Entscheidungen und der Technologie als Leistung bieten. Schlussendlich muss an Menschen verkauft werden – und diese müssen es auch nutzen, bewerten, unternehmenspolitisch durch Widerstände bringen und verteidigen.
Limfac 5: Der immense Aufwand bei der API-Verknüpfung aller in Frage kommenden Datenquellen für jeden Use Case
Online Marketing, vor allem im Ads-Bereich, ist in erster Linie ein Detektivjob. Immer, wenn etwas schief läuft, stellt sich die Frage:
Woran hat’s gelegen?
Alles läuft gut, solange im Lead Gen die Kampagnen und Conversion-Wert-Hierarchien bei Google Ads nach standardisierten Setups gelauncht werden, die (fast) immer funktionierten – doch dann brechen die Umsätze ein. Woran hat es gelegen?
- Am Tracking (und wenn ja: woran konkret)?
- Am Consent Mode V2 und einer Fehlkonfiguration?
- Am Cookie-Banner, das automatisch geupdated wurde und bestimmte Tracking-Codes abklemmt?
- An der Website-Technik, sodass ein Formular nicht auf einer Submit-URL oder Dankeseite weiterleitet?
- An der konjunkturellen Lage der Branche?
- An der konjunkturellen Lage im Allgemeinen?
- Am Wettbewerb, der stärker wurde?
- Am Setup der Kampagnen?
- Am überambitionierten Ziel-ROAS?
- Am gesunkenen Interesse / Suchvolumen bei den Nutzern?
- Daran, dass die Leadqualität schlechter wurde?
- Oder daran, dass der Vertrieb die Leads nicht anruft?
All diese Fragen sind klassische “Detektiv-Fragen” in der Marketingbranche, und jeder menschliche Mitarbeiter muss interne und externe Ursachen berücksichtigen, wenn die Situation in der Anzeigenschaltung bei einem Unternehmen festgefahren ist. Für eine AI-Vollautomatisierung ist der Aufwand entsprechend hoch, all diese internen und externen Faktoren via API anzuschließen, damit ein AI Agent diese Faktoren überhaupt bewerten kann: Neben all den Google Ads Daten (frühere Audits, Reporting-Module für Kampagnen, Anzeigengruppen, Gebotsstrategien, Anzeigen, Anzeigengruppen, Asset-Gruppen, Locations, Keywords, Search Terms, Audiences, Ziel-ROAS, Ziel-CPA) müssten Website-Daten, GTM-Daten, Lighthouse-Reports, interne Call-Logs aus dem CRM, AI-Auswertungen über Leadqualitäten sowie Mitbewerber- und Marktdaten im dauerhaften Monitoring angeschlossen werden, damit eine Bewertung stattfinden kann.
Folglich muss ein solcher API-Massenanschluss an die betreffenden AI Agents für jeden Bereich gemacht werden (und die Prompts das entsprechende Fine Tuning erhalten), ob im technischen SEO, organischer Social-Media-Betreuung, Meta Ads oder LinkedIn Ads. Der Haken: Selbst bei einem Massenanschluss von allen erdenklichen, relevanten internen und externen Datenquellen für die Bewertung von Ads-Kampagnen können viele Dinge durch einen AI Agent nicht berücksichtigt werden, wie etwa mündlich abgesprochenen Änderungen von Strategien im Vertrieb oder in der Ansprache der Kunden (es sei denn, der AI Agent würde alle Gespräche mitschneiden).
Ergo: In den meisten Anwendungsfällen geht es schneller, einen menschlichen Consultant aus einem dieser Detektivbereiche einfach zu fragen – denn diesem muss man nicht zuvor tagelang alle möglichen APIs anschließen, die dazugehörigen Prompts finetunen und regelmäßige Wartungen, Aktualisierungen und Debuggings durchführen.
Wie können AI-Automatisierungen in der Marketingbranche funktionieren? (im Verkauf)
- Wenn es also um die Erbringung von klassischen Agenturleistungen im Bereich Online Marketing geht, würde meiner Einschätzung nach ein Abbilden derselben durch eine AI-Vollautomatisierung für den Kunden bei gleichem Preis auf Dauer immer schwierig bleiben (siehe Limfac 1 – 5)
- Eine Infrastruktur aus AI Agents, die eine Komplementärnutzung durch die Agentur und/oder den Kunden der Agentur voraussetzt, hat hingegen gute Aussichten, sowohl unternehmenspolitisch nachhaltig implementiert zu werden und Vertrauen zu bekommen, als auch zu üblichen Consulting-Konditionen mit monatlicher Betreuung verkauft zu werden
Inhalt
- Was ist eine AI-Vollautomatisierung?
- Limfac 1: Vollautomatisierung als SaaS versus Consulting als Agenturleistung
- Limfac 2: Menschen brauchen meist nicht tausende neue Ideen, sondern den Fokus auf eine altbekannte und wichtige Information
- Limfac 3: Consulting-Leistungen sind hochpreisiger als reine Technologiekosten
- Limfac 4: Komplementärnutzung statt Vollautomatisierung bringt mehr Umsatz
- Limfac 5: Der immense Aufwand bei der API-Verknüpfung aller in Frage kommenden Datenquellen für jeden Use Case
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