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The Law of Accelerating Returns

Warum sich On-Hold-Forschungsprojekte rentieren

In vielen Innovationen fehlte nur ein finaler Baustein zum Durchbruch. Ray Kurzweil beschreibt die Entwicklungsdynamik dahinter in seiner Law of Accelerating Returns. Warum On-Hold-Pläne für Innovationen wichtiger als je zuvor sind.

Manche Menschen denken, es sei effizient, nur das zu tun, was sofort Geld bringt.

Es ist wie mit dem berühmten Schokoladen-Experiment: Kinder bekommen ein Stück Schokolade, das sie gleich essen können. Sie können aber auch zehn Minuten warten und erhalten in diesem Fall ein zweites Stück. Das entspricht einer Steigerung von 100%. Die Entscheidung besteht hier also darin, entweder den geringen Ertrag gleich zu erhalten oder zehn Minuten ohne den geringen Ertrag auszukommen, um den hohen Ertrag zu bekommen. Die meisten Kinder warteten die zehn Minuten nicht ab, sondern entschieden sich für den geringen Ertrag. So handeln auch einige Menschen im Technologie- und Marketingbereich: Eine Forschung oder  Pioniersarbeit, die nicht sofort Geld bringt, sei nicht “smart”. Es sei effizient, nur das zu tun, was sofort Geld bringt – also das eine Stück Schokolade gleich zu essen. Das Problem: Das machen die meisten Marktteilnehmer genauso und bedienen althergebrachte Leistungen in einem Red Ocean Market. Damit sind sie entsprechend nie vor dem Markt, sondern immer hinter dem Markt. 

Das fußt auf der Nicht-Akzeptanz von technischen Leerläufen. Im Bereich der Pioniersarbeit für neue Angebote, Leistungen, Produkte und Technologien ist es immer so, dass die meisten Projekte in der Schublade landen, wenn auch nur vorübergehend. Von zehn Anläufen werden vielleicht nur zwei oder drei wirklich von der Kundschaft angenommen. Der Rest fällt in die Schublade als technischer Leerlauf, wie bei einer Conversion-Rate im Online Marketing, die auch nie bei 100% liegt.

Der finale Baustein zur kommerziellen Marktreife

Doch warum ist das so? Nun, manche Technologien und Dienstleistungen sind vielleicht so weit vor dem Markt und Jahre voraus, dass sie noch nicht von den Menschen angenommen werden. Vielleicht fehlt auch einfach die Marktreife oder die Attraktivität des Produkts ist in der Praxis doch nicht so groß wie angenommen. Warum aber dennoch viele Forschungsprojekte aus der Schublade zum entscheidenden Erfolg werden, liegt daran, dass erst später ein finaler Baustein erfunden wird, der dieser Technologie oder Leistung zum Durchbruch verhilft. Diesen Fall skizziert der legendäre KI-Pionier Ray Kurzweil in seiner Law of Accelerating Returns, die er in seinem 2005 erschienenen Buch “The Singularity is Near” darlegt.

Die Erfindung und der Durchbruch des Telefons

Als Beispiel für einen fehlenden Baustein bis zur vollen Ausreifung eines Produkts auf dem Massenmarkt nennt Ray Kurzweil die Erfindung des Telefons. Schon im 19. Jahrhundert gab es funktionierende Geräte, die eine akustische Fernübertragung ermöglichten. Im Zweiten Weltkrieg wurden militärische Telefone bereits in bedingtem Maß genutzt. Doch zur Etablierung einer breit angelegten, kommerziellen Marktreife fehlte noch ein Baustein, und zwar die 1949 vorgestellte Langspielaufnahme (LP). Ray Kurzweil schreibt dazu:

Mitte des 19. Jahrhunderts gab es mehrere Vorläufer des Phonographen, darunter Léon Scott de Martinvilles Phonautograph, ein Gerät, das Schallschwingungen als gedrucktes Muster aufzeichnete. Es war jedoch Thomas Edison, der alle Elemente zusammenbrachte und 1877 das erste Gerät erfand, das sowohl Ton aufnehmen als auch wiedergeben konnte. Weitere Verfeinerungen waren notwendig, damit der Phonograph kommerziell rentabel wurde. Es wurde 1949 zu einer ausgereiften Technologie, als Columbia die Langspielaufnahme (LP) mit 33 U/min und RCA die 45-U/min-Disc vorstellte.

Abbildung: Einfache, schematische Symboldarstellung für die Erfindung eines finalen Bausteins im Lebenszyklus einer Technologie in Hinblick auf das Erreichen der vollständigen kommerziellen Marktreife. Dieser finale Baustein bringt den Return, die Wiederkehr der Forschung aus ihrem abgeflachten Interesse zurück auf den Markt und in die öffentliche Wahrnehmung.

Die Wiederkehr von On-Hold-Forschungen beschleunigt sich

The Law of Accelerating Returns beschreibt bei Ray Kurzweil die sich verschnellernde Wiederkehr von Durchbrüchen im Rahmen des Entwicklungszyklus einzelner Technologien. Die Entstehung einer technologischen Innovation beginnt wie in einem steigendem Liniendiagramm. Es kommen immer mehr Technologien als Bausteine hinzu, die Kurve steigt stetig in Richtung des Erreichens der vollen Ausreifung und kommerziellen Marktreife. Doch vor Erreichen der vollständigen technischen Ausreifung fehlt ein entscheidendes Element, sodass die Euphorie für die Technologieentwicklung schwindet und sie kurzzeitig ad acta gelegt wird – sie verschwindet in der Schublade oder aus dem Fokus der Öffentlichkeit. Wenig später wird aus einer anderen Forschung aber eben jenes benötigte Element entdeckt und kann nun zur vollen Ausreifung und Massenproduktion des ursprünglichen Forschungsgegenstandes eingesetzt werden. 

Das ist dann der Return in der technologischen Entwicklung: Die Technologie kommt aus ihrem abgeflachten Interesse wieder zurück, weil es den finalen Baustein für die kommerzielle Marktreife gibt. Kurzweil nennt seine Regel Law of Accelerating Returns, weil die Acceleration, die Beschleunigung, ein zusätzliches Charakteristikum ist: Diese Returns kommen mit fortschreitender technologischer Innovation in allen Bereichen des Lebens immer schneller, sie beschleunigen sich, und bilden zeitlich immer kürzer werdende Abstände von Durchbruch zu Durchbruch. Angelehnt ist das wiederum an Moore’s Law: Die Theorie, dass Speicherkapazitäten in Datenträgern sich in gleichen, nacheinanderfolgenden Zeiträumen exponentiell vergrößern. Das trat in Vergangenheit auch ein, und Kurzweil macht daraus die Überleitung zu technischen Ausreifungsstufen allgemein:

“Die fortlaufende Beschleunigung der Technologie ist die Konsequenz und das unvermeidliche Ergebnis dessen, was ich als ‘Law of Accelerating Returns’ bezeichne, welche die Beschleunigung des Tempos und des exponentiellen Wachstums der Produkte eines evolutionären Prozesses beschreibt. Zu diesen Produkten gehören insbesondere informationstragende Technologien wie die Datenverarbeitung, und ihre Beschleunigung geht weit über die Vorhersagen des so genannten Mooreschen Gesetzes hinaus.” [1]

Man könnte also sagen: The Law of Accelerating Returns beschreibt das Gesetz der sich beschleunigenden Wiederkehr – von finalen Bausteinen, die für den Durchbruch von Technologien zu ihrer vollen Marktreife fehlen. Das bedeutet, dass sich die Wiederkehr von On-Hold-Forschungen ins tagesaktuelle Geschehen verschnellert. Sie kehren zurück und erlangen den Durchbruch in ihrer vollen Marktreife. Selbstredend trifft es nicht auf jede Forschung zu. Aber wer mit Pioniersarbeiten seinen eigenen Blue Ocean Market erschaffen will, sollte immer eine Reihe von On-Hold-Forschungen in der Schublade haben, die zur rechten Zeit herausgeholt werden können. In diesem Fall muss man vor dem Markt sein.

The Law of Accelerating Returns in der Praxis im Online Marketing

Gerade im Online Marketing sehen wir oft, wie sich frühzeitige On-Hold-Forschungen rentiert haben. Viele Leistungen, die heute bedient werden, hatten 2018 noch Irritationen bei den Unternehmen hervorgerufen und 2010 waren sie noch komplett undenkbar. Wer aber vor dem Markt sein wollte, hat entsprechend vor dem großen Ansturm auf ein Thema die Weichen gestellt und war bereit, sobald ein finaler, fehlender Baustein für die komplette Marktreife da war. Beispiele gibt es viele – hier sind drei davon:

  • CRM-Systeme: Customer-Relationship-Management-Systeme wie HubSpot, Zendesk, Zoho oder andere Anbieter. Früher waren sie noch keine allgegenwärtigen Massenprodukte, die praktisch jedes Unternehmen haben musste. So nutzten viele Unternehmen stattdessen Excel für das Erfassen von Kundendaten. Ein CRM war zwar praktisch, aber teuer und hatte noch nicht so viele Funktionen wie heute. Es gab allerdings keine technische Notwendigkeit, auf ein CRM umzusteigen. Heute, im Jahr 2023, ist es technisch absolut notwendig ein CRM zu verwenden, wenn ein Unternehmen im Online Marketing Werbung schalten will – über Google Ads, Facebook Ads oder LinkedIn Ads. Ein CRM wie HubSpot kann zu jedem Lead die genaue Akquisitionsquelle mitsamt der zugrundeliegenden Werbekampagne und Werbeanzeige erfassen. Das ermöglicht es, den genauen Kostenpunkt pro Deal aus dem Werbebudget zu ermitteln, und herauszufinden, welche Kampagne eigentlich die meisten Deals bringt, um das Budget noch effektiver einzusetzen. Vor allem aber kann der Lifecycle-Stage-Aufstieg vom Lead zum Kunden aus einem CRM direkt in die Werbesysteme als Conversion-Aktion exportiert werden, damit diese das algorithmische Lernen auf die Maximierung von hochqualifizierten Kunden ausrichten, statt auf die rohe Lead-Anzahl. Früher gab es noch keinen vollautomatisierten, einfacher Customer-Daten-Export als Conversion-Aktion in die Werbeplattformen. Heute gehört es zum Standard, und es ist praktisch unverzichtbar geworden, ein CRM zu verwenden. Der Export von Customer-Daten als Conversion-Aktion war entsprechend der finale Baustein, der zum vollkommenen Durchbruch von CRMs führte. Marketing Agenturen, die frühzeitig die CRM-Betreuung als Leistung implementieren, haben nun sehr gute Karten, da das Thema CRM Stand heute ein Muss ist.
  • Drag-and-Drop-Editoren im Webdesign: Klar ist ein Drag-and-Drop-Editor schneller und vor allem einfacher verständlich in der Bedienung, wenn wir von der Kompatibilität für den Massenmarkt sprechen. Doch die ersten Drag-and-Drop-Editoren ab 2010 hatten einen Haken: Die Ladezeit der daraus entstandenen Websites war immens. Man kennt diese Systeme auch als Website-Baukästen. Die hohen Ladezeiten waren dem technischen Umstand geschuldet, dass beim Aufrufen der Website sehr viele Assets der Baukästen geladen wurden, die gar nicht erforderlich waren, aber zum Gesamtkonstrukt gehören. Ab 2016 kam der Page Builder Elementor für WordPress-basierte Websites auf den Markt. Damit sind mittlerweile Website-Ladezeiten auf Konzern-Niveau möglich. Schnellere Ladezeiten gehen nur mit selbstgecodeten Websites, die aber häufig schlechter im SEO-Bereich aufgestellt sind, da ihnen der codetechnische Überbau fehlt. Heutzutage kann das Nachladen redundanter Assets viel effizienter gesteuert werden. Aus diesem Grund wechseln viele Unternehmen bewusst zu Elementor, da sie so ihre Webdesign-Fragen ressourcenschonend im eigenen Haus lösen können. Drag-and-Drop-Editoren sind heute die Zukunft in allen möglichen Bereichen: Im Webdesign mit Elementor, im Grafikdesign mit Canva, im Newsletter-Design mit Mailchimp und HubSpot und in Website-A/B-Tests.
  • Website-A/B-Tests: Mit einer optimierten Website-UX können die Conversion-Rates deutlich verbessert und die Absprungraten gesenkt werden. Durch die Benutzerfreundlichkeit und klare Nutzerführung tätigen Menschen mehr Käufe oder Anfragen. Es gibt Anwendungen, wie damals Google Optimize oder noch heute AB Tasty, die es ermöglichen, mehrere Versionen einer URL parallel an gleichgroße Nutzergruppen cookiebasiert auszuliefern, um das Conversion-Rate, Button-Klicks, Sitzungsdauer, Scroll-Tiefen und Absprungraten zu messen. Früher waren die Technologien dafür noch etwas umständlich zu bedienen. Auch hatten die meisten Unternehmen das Thema nicht so wirklich verstanden und auf die lange Bank geschoben. Heute ist es einfacher denn je, und da die Klickpreise in den Werbenetzwerken in den letzten Jahren stark gestiegen sind, ist es heute absolut notwendig, mit Website-A/B-Tests die Performance der Website zu maximieren, damit mehr Abschlüsse zustandekommen. Früher erschien es den Unternehmen zu kompliziert – aber auch hier war es die Einführung von Drag-and-Drop-Editoren, die zu einer Massenkompatibilität der Technologie führte. Heute kann praktisch jeder solche A/B-Tests durchführen und Erfolge erzielen und das Thema ist bei den Unternehmen gut nachgefragt.

Fazit: On-Hold-Forschungen sind ein Muss

Wenn du also in einer Branche tätig bist, die tagesaktuell pioniersartige Lösungen erfordert, sind On-Hold-Forschungen ein Muss und sie rentieren sich. Das heißt nicht, dass du deine gesamte Zeit dafür aufwenden solltest. Vielmehr geht es darum, aufkommende und aussichtsreiche Innovationen frühzeitig zu erforschen und ihre Implementierung als Angebot zu durchdenken. Es geht darum, nicht der Nachzügler zu sein, wenn der Run beginnt, sondern zumindest ein Early Adopter oder sogar ein First Mover. Mach dir also nichts draus, wenn zehn deiner Schubladen-On-Hold-Forschungen nicht sofort auf eine große Nachfrage stoßen – die Saat wird für einige dieser Projekte erst aufgehen, wenn ein finaler Baustein auf den Markt kommt, der dieser Sache zum Durchbruch verhilft und den Weg für die kommerzielle Marktreife ebnet.

Quellenverzeichnis

[1] Ray Kurzweil:The Singularity Is Near“, Penguin Group, New York 2005, S. 35

Überblick: Darum geht es bei der Law of Accelerating Returns

Ray Kurzweils “Law of Accelerating Returns” beschreibt die Dynamik der Entwicklung von Innovationen, bei der oft nur ein finaler Baustein zum Durchbruch fehlt. Dieses Konzept verdeutlicht die Bedeutung von On-Hold-Plänen für Innovationen. Manche Menschen neigen dazu, nur Aktivitäten zu verfolgen, die sofortige Gewinne und Ruhm bringen. Dieses Verhalten lässt sich mit dem Schokoladen-Experiment vergleichen, bei dem Kinder wählen können, sofort ein Stück Schokolade zu essen oder zehn Minuten zu warten und dafür ein zweites Stück zu erhalten. In vielen Fällen entscheiden sich Menschen, einschließlich im Technologie- und Marketingbereich, für den sofortigen Ertrag, anstatt auf langfristige Gewinne zu warten. Dieses Vorgehen führt dazu, dass viele Marktteilnehmer in etablierten Märkten agieren und nicht vor, sondern hinter dem Markt sind.

Innovative Projekte können oft nicht sofort von der Kundschaft angenommen werden und landen vorübergehend in der Schublade. Dennoch können viele dieser Projekte später durch einen finalen Baustein den entscheidenden Erfolg erzielen. Dieser Ansatz, wie von Kurzweil beschrieben, betont die Wichtigkeit von Geduld und langfristiger Planung, um Innovationen und technologische Durchbrüche zu fördern.

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